Der Geist der Gutheit in COVID-Zeiten
Als ich mit Windpocken erkrankte, war alles, was ich wollte, zu Hause bei meiner Familie zu sein, die 1300 Kilometer entfernt von mir lebte.
India, Southern Asia
Eine Geschichte von Charu Thukral. Übersetzt von Veronica Burgstaller
Veröffentlicht am July 11, 2020.
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Die Straße war gespenstisch still. Es war ein Sonntag, sieben Tage nachdem ich wegen der Pandemie angefangen hatte, von zu Hause aus zu arbeiten, und der Tag der 'Janta-Ausgangssperre[1]. Ich hatte Angst, sowohl vor der Leere der Stadt als auch vor der Krankheit, die in meinem Körper war. In diesem Moment, auf der seltsam leeren Straße, stand die Zeit still.
Im Krankenhaus erzählte mir ein Arzt, dass ich Windpocken habe, wobei er Abstand hielt. Ich zitterte vor Angst, weil ich wusste, wie schwer die kommenden Tage sein würden. In diesem Moment wollte ich nur bei meiner Familie sein, die 1300 Kilometer entfernt von mir lebte. Mir wurde klar, dass das unmöglich war, da mein Fieber von den Flughafenkontrollen als COVID-bedingt eingestuft werden würde und ich nicht in das Flugzeug einsteigen dürfte. Meine Krankheit bedeutete, dass ich nun meine letzte Chance verspielt hatte, nach Hause zu gehen, bevor eine unbefristete landesweite Abriegelung erfolgte, die zwei Tage später angekündigt wurde[2]. An diesem Tag bedauerte ich bitterlich meine Entscheidung, allein in der Großstadt Mumbai zu leben. Ich fühlte mich ängstlich und isoliert und verlor den Bezug zur Realität.
Doch später am selben Tag erlangte ich meinen Verstand zurück, dank des Geistes der Gutheit, der in Form meiner Köchin, Prema didi, ankam. Sie versicherte mir am Telefon, dass alles in Ordnung wird, und versprach, sich um mich zu kümmern. In den folgenden 15 Tagen war Prema didi wie eine Mutter für mich. Sie half mir, mein Zimmer zu putzen, beim Essen und gab mir psychologische Unterstützung, um glücklich zu bleiben. Nach zwei Nächten mit hohem Fieber beschloss ich, das Krankenhaus aufzusuchen, um mich auf eine Lungenentzündung testen zu lassen.[3] An diesem Tag vertiefte sich mein Glaube an das Gute in der Welt. Ich hatte Mühe, das Krankenhaus zu erreichen, da der öffentliche Nahverkehr eingestellt war. Ein freundlicher Onkel[4] aus demselben Wohnblock, bot mir an, mich in seiner Auto-Rikscha[5] zum Krankenhaus zu bringen, obwohl seine Frau strikt dagegen war. Im Krankenhaus wurde ich aufgrund des Stigmas, das mit Windpocken verbunden ist, schlecht behandelt und mir wurde die Bedienung verweigert. Keiner wollte sich mir nähern, geschweige denn Untersuchungen durchführen. Aber wieder einmal kam das Gute zur Rettung in Form eines freundlichen medizinischen Mitarbeiters[6], der mir half. Er setzte sich nicht nur gegen die Oberschwester durch und stimmte zu, alle Untersuchungen durchzuführen, sondern gab mir auch medizinische Ratschläge und tröstete mich.
Seitdem habe ich mich gut erholt. Obwohl 25 Tage Krankheit mir alle Energie geraubt haben, bin ich voller Hoffnung und habe den Drang bekommen, zum Guten beizutragen. Während meiner Krankheit verfolgte ich die Nachrichten über Tagelöhner, die ums Überleben kämpften, weil sie wegen dem Lockdown ihre Arbeit verloren hatten. Einige liefen Tausende von Kilometern und versuchten, in ihre Heimatdörfer zurückzukehren, nachdem der öffentliche Nahverkehr eingestellt worden war. Viele starben auf ihrer Reise.[7]
Ich war bewegt, zu helfen. Ich schloss mich humanitären Initiativen an, die von Freunden und Kollegen ins Leben gerufen wurden, um den in den Städten festsitzenden Arbeitern Nahrungsmittelhilfe und Transportmöglichkeiten zu bieten. Ich arbeitete mit einer NGO zusammen, die Mahlzeiten für die von der Gesellschaft am meisten Verachteten, Sexarbeiterinnen und deren Töchter, bereitstellen. Während in den Nachrichten die sterbenden Menschen auf bloße Zahlen und Statistiken reduziert werden und einige versuchen, diese Krise für politische Zwecke zu nutzen, und während es eine weit verbreitete Angst gibt, dass diese COVID-Zeit niemals enden könnte; gibt es noch Hoffnung. Ich finde Hoffnung in den Taten der Güte, die Menschen füreinander tun. Ich glaube, dass das Erkennen von Güte und Hoffnung uns befähigen wird, in der neuen Welt zu leben, nachdem all dies endet.
Fußnoten
[1] Der 22. März 2020 wurde vom indischen Premierminister zur Janta-Ausgangssperrstunde erklärt (was so viel bedeutet wie "Ausgangssperre für das Volk"). An diesem Tag wurde jede menschliche Bewegung auf den Straßen verboten, mit Ausnahme der wesentlichen Dienste wie die Gesundheitsversorgung.
[2] Am 24. März 2020 erklärte die indische Regierung eine landesweite Ausgangssperre aufgrund der COVID-19-Pandemie.
[3] Lungenentzündung ist eine häufige Komplikation bei Erwachsenen mit Windpocken; ich wurde später negativ getestet.
[4] In Indien werden unbekannte männliche und weibliche Fremde aus Respekt "Onkel" bzw. "Tante" bezeichnet
[5] Autorickshaw ist ein dreirädriges öffentliches Fahrzeug für lokale (innerstädtische) Fahrten in Indien.
[6] Mitglied des Diagnoseteams
[7] Zwei Monate nach der Abriegelung hat sich die Situation im Land nicht verbessert. Arbeitsmigranten gehen immer noch zu Fuß zurück in ihre Heimat, in dem verzweifelten Versuch, zu überleben und nicht in den Städten zu verhungern.
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