Geschlechtsspezifische Unberührbarkeit und Katastrophenhilfe in Nepal

Artikel 1 unserer Verfassung besagt, dass jeder Mensch das Recht auf ein Leben in Würde hat. Wenn Frauen jeden Monat als Unberührbare gelten, wo bleibt dann ihre Würde?
Nepal, Southern Asia

Eine Geschichte von Chandra Bhadra. Übersetzt von Veronica Burgstaller
Veröffentlicht am February 6, 2021.

Diese Geschichte ist auch verfügbar in GB es it tr



Als emeritierte Professorin für Gender an der Tribhuvan Universität in Kathmandu habe ich mindestens die Hälfte meiner 70 Jahre damit verbracht, die Schwierigkeiten, denen Frauen in der Gesellschaft ausgesetzt sind, zu studieren,. Ich habe diese Schwierigkeiten auch aus erster Hand erfahren. Als ich aufwuchs, wurde das Gefühl der Unreinheit, wenn ich meine Periode hatte, tief in mir verwurzelt. Ich hatte wirklich Angst, Puja[1] durchzuführen oder in den Tempel zu gehen. In Nepal müssen Frauen, wenn sie ihre Perioden haben, getrennte Betten und Utensilien benutzen. Wir dürfen nicht einmal den Teppich berühren, wenn er gemeinsam von anderen Leute mitbenutzt wird. In manchen Gegenden übernachten Frauen und Mädchen in Baracken außerhalb ihres Zuhauses. Anders ausgedrückt: Frauen, die ihre Periode haben, sind 'unberührbar '[2].

Bei meinen Eltern, zu Hause, war das nicht so. Falls ich jedoch meine Periode hatte, und zu meinem Onkel und zu meiner Tante ging und wurde ich bei denen als unrein behandelt. Ich fühlte mich schrecklich, erniedrigt und so als hätte ich meine Würde verloren. Das war besonders hart, als ich noch ein Teenager und sowieso schüchtern war.

Aber was ich heute erzählen möchte, ist über die Ereignisse nach dem Erdbeben in 2015 [3] und wie meine Freundinnen und ich das Problem der Periodenhygiene angefasst haben. Als die Tragödie passierte, rannten alle um ihr Leben, nur mit den Kleidern, die sie trugen. Die Frauen hatten nichts, was sie während ihrer Menstruation benutzen konnten. Mit Hilfsgütern wurde ihnen Unterstützung gegeben und viele Frauengruppen, die in der Katastrophenhilfe tätig sind, verteilten Einwegtampons. Aber diese waren nicht umweltfreundlich und auch unpraktisch, da eine große Menge benötigt wurde. Ich war damals Professorin und arbeitete mit Studenten zusammen, um "Menstruationstaschen" vorzubereiten, und sie an Frauen zu verteilen, die von den Folgen des Erdbebens betroffen waren. Damit begann meine Leidenschaft, Frauen vor der Unberührbarkeit in Nepal zu schützen.

Nach langem Nachdenken und Gesprächen mit Freunden, begannen wir, wiederverwendbare Damenbinden vorzubereiten und zu verteilen. Wir packten 4 wiederverwendbare Binden aus Baumwolle, zwei Stück Unterwäsche, Sicherheitsnadeln und Seife in Tüten und verteilten sie an Frauen. Eine Tüte kostete 300 nepalesische Rupien (2,50 USD), aber sie würde für ein ganzes Jahr reichen.

Ich schrieb E-Mails an Kollegen und Freunde und stellte ihnen die Idee mit einigen informellen Recherchen vor. Wir starteten eine Spendenaktion. Innerhalb von drei Wochen brachten wir 350.000 nepalesische Rupien (2.887,15 USD) zusammen. Dann wollte auch die medizinische Hochschule in Dharan, einer großen Stadt im Osten Nepals, beitragen. Meine Studenten und andere beteiligten sich, und die Idee verbreitete sich in der Stadt Pokhara, wo Studenten der Pokhara Universität und des Prithvi Narayan Campus an der Herstellung und Verteilung von "Menstruationstaschen" im Epizentrum-Distrikt Gorkha teilnahmen. 

Ich erhielt 1.000 USD von Mitgliedern der "Sociologists for Women in Society"[4]. Wir bekamen Kontakt zu "Nagarik Awaz", einer Friedens-NGO-Gruppe, die Hilfsgüter in die betroffenen Dörfer bringt[5]. Wir initiierten auch Dialogue mit Männern und Frauen in den Gemeinden, um sie für dieses Thema zu sensibilisieren. Wir hatten interessante Erkenntnisse: Männer und Frauen sind beide der Meinung, dass die Menstruation ein natürliches und biologisches Ereignis ist und es keine Unberührbarkeit gibt. Aber dass die Gesellschaft vorschreibt, die Menstruation solle unrein sein.

In Hinsicht zu rechtlichen Themen, hatte ich Einfluss, als die nepalesische Regierung 2015 über eine neue Verfassung entschied. Ich hielt einen Vortrag vor dem parlamentarischen Ausschuss[6] für Frauen, Kinder und Senioren und setzte mich dafür ein, die geschlechtsspezifische Unberührbarkeit in der Verfassung zu verbieten. Obwohl die Ausschussmitglieder während der Beratung positiv eingestellt waren, wurde in der Verfassung-2015 ein unklares Gesetz verabschiedet, das zwar besagt, dass Menschen nicht "aufgrund ihrer körperlichen Verfassung" diskriminiert werden dürfen, aber die "Unberührbarkeit während der Menstruation" nicht ausdrücklich festschreibt.

Meine Kollegen und ich übten Druck auf die Regierung aus. Ich schrieb einen Artikel [7] und forderte eine Bestimmung gegen Unberührbarkeit während der Menstruation. Bis jetzt hat sich die Abfassung des Gesetzes nicht geändert.

Artikel 1 unserer Verfassung besagt, dass jeder Mensch das Recht auf ein würdiges Leben hat. Wenn Frauen jeden Monat als Unberührbare betrachtet werden, wo bleibt dann ihre Würde?


[1] Eine Gebetszeremonie und das Ritual der täglichen Verehrung in der hinduistischen Tradition. Es galt und gilt auch heute noch als unrein, der Puja beizuwohnen, während man seine Periode hat.

[2] Diese Praxis wird in Nepal als Chaupadi-System bezeichnet, Frauen gelten während ihrer Menstruation als "unrein" und sie müssen während dieser Zeit in Hütten oder draußen separat leben. Offiziell ist diese Praxis nicht mehr legal, aber in einigen ländlichen Gebieten ist sie immer noch zu finden.

[3] Das Erdbeben in Nepal in 2015, auch Gorkha-Erdbeben genannt, war ein kräftiges Erdbeben, das am 25. April 2015 in der Nähe der Stadt Kathmandu in Zentralnepal stattfand. Etwa 9.000 Menschen wurden getötet, viele Tausend weitere wurden verletzt, und mehr als 600.000 Gebäude in Kathmandu und anderen nahegelegenen Städten wurden entweder beschädigt oder zerstört.

[4] Eine in den USA ansässige feministische Gruppe für Soziologinnen: https://socwomen.org

[5] https://www.nagarikaawaz.org.np

[6] Untergesetzliche Organisationen

[7] https://kathmandupost.com/opinion/2015/07/30/legal-omission


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My name is Chandra Bhadra and I have been doing so much in these 70 years of life, I do not know where to start. Right now I am kind of relaxing, and love to harvest delicious guavas from my garden here in Pokhara, but I am a professor emeritus at Tribhuvan University on Gender and have written the book “Three Decades of Academic Advocacy for Gender Equality and Empowerment of women in Nepal”. We are working on distributing and selling it for a small fee (500 Nepali Rupees, which is less than US$5), this money is used for a scholarship for the one best performing student in Gender Studies subject in the 12th grade. I was born in 1948. Now I am 71 years old. Considering my mother living a very healthy life and dying at the age of 98 years, I also feel I have about 25 years more to go in my life. For all these coming years, I have several more books on my list to write.

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